Aachen. Amazon ist allgegenwärtig. So bestimmt der digitale Wandel zurecht das Motto der 158. MLF-Tagung bei Familie Sütterlin. Aber Digitalisierung heißt nicht nur E-Commerce.
„Wir dürfen den digitalen Wandel nicht verschlafen." Mit diesen Worten eröffnete MLF-Präsident Friedhelm Dornseifer die 158. Arbeitstagung der Mittelständischen Lebensmittel-Filialbetriebe in Aachen. „Keine Panik", ist das Motto von Gastgeber Ben Sütterlin, der mit Vater Herbert und Bruder Maximilian zwei Hit-Märkte in Aachen betreibt. Wer hat nun recht? Beide. Diese Ambivalenz war auf dem wichtigsten Event des selbstständigen Einzelhandels (SEH) allgegenwärtig.
So spitzten alle die Ohren, als Dornseifer senior vorrechnete: „Wenn wir davon ausgehen, dass 2025 rund 5 Prozent der LEH-Umsätze online gemacht werden, dann sprechen wir von 9 Mrd. Euro, die uns fehlen." Es lässt ahnen, welches Gefühl Amazon einmal auslösen könnte, auch wenn es für viele heute noch nicht zu greifen ist. Auch Jörg Hieber warnte davor, das Thema zu leicht zu nehmen: „Ich habe die Anfangsjahre von Aldi miterlebt. Und doch haben wir alle viel zu spät erkannt, was da auf uns zukommt."
Man müsse der jungen Generation ein Angebot machen, forderte Hieber in einer Diskussionsrunde zur Digitalisierung. Dafür brauche der SEH die Unterstützung der Zentralen. „Was wir auf keinen Fall brauchen, ist ein bundesweiter Onlineshop - es kann nicht sein, dass wir uns die Butter vom Brot nehmen lassen." Für ihre eigenen Märkte planen die Hiebers Abholstationen und damit ein Angebot, das finanziell darstellbar sei.
Mitdiskutant Lutz Richrath blickte wehmütig auf das Jahr 2014, als die Richraths ihren Onlineshop an Rewe verkauft haben. „Ich weiß nicht, ob wir das nochmal so machen würden", sagte Richrath, einigte sich mit Moderator und MLF-Geschäftsführer Michael Gerling aber darauf, dass ein Alleingang beim Lieferservice wohl auch keinen Sinn ergebe. Richrath sei mit der Rewe nach wie vor in „Wartestellung" für eine Lösung, die Kaufmannschaft einzubinden. Ihren eigenen Weg geht die Gastgeberfamilie. Wer sich beliefern lassen will, kann seinen Einkaufszettel abfotografieren und die Sütterlins einkaufen lassen. Der Umsatzanteil sei homöopathisch, räumte Ben Sütterlin ein, aber Kunden nutzten den Service immer wieder, und sei es nur zeitweise. Den unkonventionellen Weg beschrieb er mit Humor: „Sie schreiben Ihrem Mann sowieso einen Einkaufszettel - und wir kaufen sicher besser ein als er." Der Junior und Mitgeschäftsführer plädierte für einen entspannten und experimentierfreudigen Umgang mit digitalen Optionen. Vom Einsatz von Beacons bis zum Experimentieren mit Amazons Alexa: „Besser gemacht und drüber geärgert als nicht gemacht und drüber geärgert."
Gert Schambach, geschäftsführender Gesellschafter der Dohle Handelsgruppe, sieht in Amazon ohnehin nur einen von vier Goliaths, gegen die der „David Hit" antritt. Auch der „expansionsstarke LEH" und die Drogeriefachmärkte zwängen zu dauernder Verbesserung. „Es wird der Tag kommen, an dem jede Menge Kühlmöbel bei dm und Rossmann stehen - das kann man bei Budnikowsky schon heute sehen." Wettbewerber Nummer 1 ist und bleibt für Schambach der wiedererstarkte Discount. Dessen Bemühen um jüngere Kunden mit schöneren Läden und weiteren Marken lege die Messlatte für alle Vollsortimenter noch höher.
Lindt-Deutschlandchef Adalbert Lechner teilt diese Meinung: „Premium-Ladenbau, Markenartikel, soziales Engagement - was einst alleinige Domäne des LEH war, hat der Discount längst besetzt." Service- und Convencienceangebote würden ausgebaut. Vor allem der Blick auf die hohen Werbeausgaben lässt ihn ahnen, dass die Aggressivität nicht abnimmt: „Der Discount ist mit der Nachkriegsgeneration groß geworden. Und jetzt wird er alles unternehmen, um die lange vernachlässigte jüngere Zielgruppe für sich einzunehmen." Nicht nur die Diskussionen auf der Bühne, auch die Pausengespräche zeigten: In dieses Gefühl müssen sich die Kaufleute nicht erst hineindenken.
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PHOTO (COLOR): Fotos: Reinhard Rosendahl
PHOTO (COLOR): Gastgeber und Gäste : Benedikt Sütterlin, Gert Schambach (Dohle), Maximilian und Herbert Sütterlin begrüßen den MLF-Präsidenten Friedhelm Dornseifer, Geschäftsführer Michael Gerling, Unternehmer Klaus Dohle und Adalbert Lechner, Deutschland-Chef von Lindt (v.r.).
PHOTO (COLOR): Tradition und Innovation: Zur Abendveranstaltung öffnet der Krönungssaal im historischen Rathaus seine Pforten für die Tagungsteilnehmer.
PHOTO (COLOR): Ziehgroßvater und Berater: Edeka-Händler Wolfgang Schrader (l.) diskutiert mit Stephan Fetsch, Partner bei KPMG.
PHOTO (COLOR): Kritisch: Jörg Hieber will Online-Umsätze nicht der Zentrale überlassen.
PHOTO (COLOR): Vernetzt: Angela Kim von Ferrero zeigt, was mit Social Media alles geht.
PHOTO (COLOR): Analytisch: Marlene Lohmann stellt eine EHI-Studie zum Thema Handzettel vor.
PHOTO (COLOR): Überzeugend: Matthias Schulz, Gründer von Go to Emma.
PHOTO (COLOR): Trommeln und Trompeten: Im alten Schlachthof von Aachen, der Halle 60, erklingt Musik bis in den frühen Morgen.
PHOTO (COLOR): Alt und Jung: Lukas und Michael Glück (Rewe) erheitern Volker Wissmann von Brand Logistics (v.l.).
PHOTO (COLOR): Spaß und Arbeit: Die jungen Rewe-Händler Eva Rippers aus Grevenbroich und Michael Reinartz aus Aachen feiern nach einer anstrengenden Tagung.
PHOTO (COLOR): Hersteller und Händler: Günter Lehmann (Alde Gott) verkostet Wein mit Gerda und Adam Rentschler (Edeka; v.l.).
PHOTO (COLOR): Gewürze und Feinkost: Andreas Hartkorn beim Storecheck mit Bernd Richter und Peter Jaskulke von Rila (v.l.).
PHOTO (COLOR): Blau-Gelb und Rot-Weiß: Horst und Cornelia Röthemeier (Edeka) und Carola Dorn-seifer (Rewe) fachsimpeln mit Sven Gödecke und Pascal Chantraine von Lindt (v.l.).
PHOTO (COLOR): Bildergalerie - Fotos zur MLF-Tagung: lebensmittelzeitung.net/mlf-hit
By Miriam Hebben
