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„Wir wollen weiter": Fielmann: Der Marktführer der deutschen Augenoptik erfindet sich neu und entdeckt die Emotion als Markenelement.

Campillo-Lundbeck, Santiago
In: HORIZONT, 2022-06-15, Heft 24/25, S. 10-11
Online serialPeriodical

„Wir wollen weiter": Fielmann: Der Marktführer der deutschen Augenoptik erfindet sich neu und entdeckt die Emotion als Markenelement 

Lange Zeit war es genug, dass in den TV-Spots Kunden über ihren Einkauf bei Fielmann sprachen. Doch Group-CMO Michael Ahrens hat dem Brillenhändler eine grundsätzlich neue Marketingstrategie verpasst, die den emotionalen Mehrwert einer guten Brille thematisiert. Auch beim datengetriebenen Marketing und der digitalen Kommunikation entfaltet der Händler einen bemerkenswerten Ehrgeiz.

Fielmann war bekannt für TV-Spots, in denen Kunden über die Marke sprechen durften. In der neuen Kampagne spricht die Marke über ihre Kunden. Warum dieser Perspektivwechsel?

Die Kommunikation von Fielmann ist immer vom Kundenfokus getrieben. Denn wir haben nicht nur eine sehr hohe Markenbekanntheit, sondern auch eine sehr hohe Kundenzufriedenheit. Aktuell hat die Fielmann-Gruppe 27 Millionen Kunden und über 90 Prozent davon geben uns Bestnoten beim Thema Zufriedenheit und kommen auch immer wieder zurück zu Fielmann. Deshalb sind die Kunden auch als Protagonisten unserer Werbung nicht wegzudenken.

Angesichts solcher Bestwerte: Welche Kommunikationsziele bleiben denn da dem Fielmann-Marketing noch?

Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, das Thema Emotion stärker zu spielen. Die Leistungsmerkmale beim Brillenkauf mit Aspekten wie Produktqualität, ein tolles Beratungserlebnis, bester Preis und größte Auswahl bleiben bestehen. Aber in der Summe ergibt sich daraus bei unseren Protagonisten das Gefühl von Stärke, weil sie das Gefühl haben, für sich die richtige Brille gefunden zu haben. Eine solche Brille verändert auch die Träger. Sie verleiht mehr Selbstbewusstsein. Daraus leitet sich dann auch der Slogan der Kampagne ab: „Stärke zeigen". Und diese Botschaft haben wir noch mit einer Prise Humor verfeinert, indem wir zeigen, wie dieses neue Selbstbewusstsein unsere Kunden dazu bringt, auch mal etwas Verrücktes zu tun.

Für Fielmann ist das ein Richtungswechsel. Bisher hat sich die Marke auf ihre funktionalen Werte konzentriert.

Wir gehen hier neue Wege, an die sich die Kunden erst einmal gewöhnen müssen. Deshalb investieren wir ja auch in einen starken medialen Druck und sind in allen großen Werbegattungen präsent. Wir wissen aber, dass „Stärke zeigen" kein kurzfristiges Thema ist, sondern sich über Jahre entwickeln muss. Deshalb werden wir noch viele Geschichten rund um das Thema erzählen und dabei werden wir uns natürlich auch stärker an die Marke Fielmann heranbewegen. Die Pretests zur Kampagne sagen alle, dass Kampagne und Marke sehr gut zusammenpassen. Jetzt müssen wir schauen, wie sich das im Markt entwickelt.

Nun hat der Markt selbst mit der Inflation eine unwillkommene Entwicklung für alle Beteiligten genommen. Zur aktuell erhöhten Preissensibilität der Kunden würde Ihre alte Kampagne doch eigentlich viel besser passen als Markenbotschaften, die über Stolz und Selbstbewusstsein reden.

Wir haben die Kampagne imagelastig gestartet. Aber wir haben sie im Radio, in Print und auf Social auch um aktive Preiswerbung ergänzt. Alle unsere Marketingmaßnahmen werden im Vorfeld getestet. Wir glauben sehr stark an den Wert von Pretests. Wir machen permanent A/B-Tests und versuchen immer unseren Marketing- und Mediamix durch Tests und Erkenntnisse zu optimieren. Und hier ist das Thema Preis für uns schon jetzt gesetzt. Und ich bin auch optimistisch, dass das als Thema sehr gut zu uns passt. Denn in Krisenzeiten gehen die Menschen gerne zu Unternehmen, denen sie vertrauen und von denen sie auch in der Vergangenheit immer das beste Preis-Leistungs-Verhältnis bekommen haben.

Jenseits der Emotionalisierung: Was ist Ihr Ziel für die Marke? Um Bekanntheit kann es Ihnen zumindest in der DACH-Region damit ja nicht gehen.

Sicher ist Markenbekanntheit in der DACH-Region nicht unser größtes Thema. Obwohl Bekanntheit auch erodieren kann, wenn man sie nicht regelmäßig wieder auffrischt. Aber uns wird nicht langweilig. Es gibt es noch an allen Stellen Optimierungsbedarf. Denn selbst wenn die Werte insgesamt noch sehr gut aussehen, kann man ja in Teilsegmenten – zum Beispiel in Altersgruppen oder regionalen Aspekten – immer noch optimieren. Dazu gibt uns unser Marketinginstrumentarium auch ganz viele neue Möglichkeiten, unsere Markenbotschaften gezielter zu senden. Wir optimieren entlang des Funnels und wir sehen, dass das auch zu besseren Kundenfrequenzen in den Niederlassungen führt. Denn zu unserem Job gehört ja nicht nur, die Markenwerte hochzuhalten. Wir müssen auch dafür sorgen, dass die Frequenzen der Niederlassungen stimmen.

Das klingt, als ob im Marketing die Intuition von einer komplexen Kalkulation abgelöst wurde.

Es ist im Kern ein mathematisches Spiel. Wenn wir eine bestimmte Anzahl von Produkten verkaufen wollen, kann man ausrechnen, welche Anzahl von Kunden bei angenommener Conversion und Wiederkaufsrate dafür nötig ist. Daraus ergeben sich für jedes Land und jeden Bereich Zielsetzungen, wo wir schauen, wie wir diese Ziele über Einzelmaßnahmen optimieren können.

Wie zufrieden sind Sie mit der Marketingeffizienz von Fielmann?

Die Wirtschaftlichkeit des Marketings wird bei uns sehr genau durchleuchtet. Speziell in den Onlinekanälen, wo wir die Resultate des Performance Marketings ja noch genauer messen können, haben wir Insights für jeden Kanal, wo wir hinwollen. Wir haben auch die Coronakrise sehr gut überstanden und es in dieser Zeit geschafft, noch effizienter zu arbeiten. Aber das reicht nicht. Wir wollen weiter.

Wie entwickelt man denn seine Markenstrategie, um eine solche Transformation voranzutreiben?

Unser Prozess ist sehr von Daten geprägt. Wir haben erst einmal herausgearbeitet, wofür die Marke aktuell steht und wo wir mit der Marke hinwollen. Und um das Ganze im Agenturbriefing besser zu vermitteln, haben wir auch viel aus der Vergangenheit erzählt. Denn Fielmann blickt auf eine starke Markengeschichte zurück, die wir natürlich nicht ignorieren wollen. Aber genauso wichtig ist, dass sich Fielmann stark verändert hat und das auch heute noch jeden Tag tut. Wir sind internationaler und viel digitaler geworden. Nach unserer Vorarbeit haben wir dann den Agenturen die Möglichkeit gegeben, Ideen einzubringen. Und das kreative Ergebnis kann sich absolut sehen lassen.

Und was gab bei der Agenturwahl den Ausschlag? Ging es um die Stärke bei der Umsetzung von Prozessen oder doch eher um das kreative Potenzial?

Am Ende waren bei der Agenturwahl verschiedene Faktoren entscheidend. Zum einen haben wir uns gefragt, ob wir in der Agentur einen professionellen Partner sehen, mit dem wir zusammen unseren Weg langfristig gehen können. Dann müssen wir auch sicher sein, dass unsere Marketinginvestitionen auch tatsächlich einen Return erwarten lassen. Deshalb haben wir auch sehr genau darauf geschaut, wer über professionelle Strukturen verfügt und wer uns eine Idee präsentiert, die zu unserer Vision auch tatsächlich passt. Bei dieser Frage ist aber auch viel Bauchgefühl dabei. Da muss es natürlich auch menscheln.

Durch die Digitalisierung kommen auch bei Fielmann neue Vertriebswege dazu, die Sie im Marketing auch kommunikativ begleiten müssen. Wie haben Sie Ihr Marketingteam verändert, um die Echtzeitsteuerung der digitalen Kanäle auch leisten zu können?

Dieser Prozess ist nicht neu, sondern läuft schon seit Jahren. Denn das Geschäftsmodell unserer wichtigsten Produktgruppen Brille, Sonnenbrille und Kontaktlinsen hat sich verändert. Bei den Kontaktlinsen haben wir schon 2016 unser Geschäftsmodell umgebaut und heute liegt hier unser Versandanteil schon bei über 50 Prozent. Damit ist unser Geschäftsmodell bei den Kontaktlinsen schon jetzt faktisch digital. Und da wir diesen Umbauprozess schon 2016 abgeschlossen hatten, mussten wir zu dieser Zeit auch schon in die entsprechenden digitalen Marketing-Kapazitäten investieren.

Und wie sieht es in den anderen Produktkategorien aus?

Bei den Sonnenbrillen wächst der Digitalanteil, getrieben durch den allgemeinen Modehandel. Auch da investieren wir schon seit Jahren in die Online-Kapazitäten. Bei den Korrektionsbrillen ist der digitale Umsatzanteil mit einstelligen Werten allerdings branchenweit noch immer sehr gering. Aber auch hier arbeiten wir an dem Thema und investieren schon seit Jahren in die Digitalisierung. Zum Beispiel indem wir Technologie entwickeln, um Messtechnik online und aufs Smartphone zu bringen. Hier haben wir mehr als 15 Millionen Euro in Messtechnik investiert und halten mittlerweile über 20 Patente.

Aber was bedeutet das für die Marketingpraxis?

Als Marketing müssen wir die große Herausforderung lösen, wie wir unsere hohen Zufriedenheitswerte im stationären Bereich digital interpretieren und im digitalen Kontext abbilden. Denn die Marke Fielmann muss sich digital so anfühlen, wie sie das auch stationär tut. Dafür brauchen wir neue Kompetenzen im Haus. Wir brauchen Customer-Experience-Experten. Wir brauchen auch Experten für CRM und Performance Marketing.

Wie digital ist Ihre Marketingabteilung heute schon?

Am Anfang steht eine starke Marke. Dafür braucht es ein Brand Management, das die Marke als seinen Heiligen Gral interpretiert und schützen will. Das ist bei uns allerdings zweigeteilt in die DACH-Region und unsere internationalen Engagements. In Wachstumsländern wie Italien, Polen und Tschechien haben wir lokale Teams aufgebaut, weil die Marke Fielmann ein Stück weit lokaler interpretiert werden muss. Da setzen wir viel mehr auf Markenbekanntheit und Markenaufbau, als das in der DACH-Region nötig ist. Im zweiten großen Bereich, dem Performance Marketing, haben wir schon seit Jahren in Personen und in Technologie investiert. Mittlerweile verfügt jeder in der Firma über Dashboards mit den Daten aus dem Performance Marketing. Ganz spannend für uns ist der dritte Bereich, der in letzter Zeit immer wichtiger wird: die Kundendaten. Die dafür nötigen Data Scientists mussten wir teilweise sogar in den USA suchen.

Womit wir beim Trendthema Datenbasiertes Marketing wären.

Die Verantwortung für die Kundendaten trägt bei Fielmann die Marketingabteilung. Und deshalb haben wir hier einen Bereich Customer Intelligence aufgebaut, der sich damit beschäftigt, unsere 27 Millionen aktiven Kunden noch besser kennenzulernen und in den Daten neue Umsatzpotenziale zu identifizieren. Diese Insights helfen uns bei der Aussteuerung des Marketings, des Vertriebs und sogar beim Einkauf sowie in der Konzeption von Kollektionen.

Eine Customer-Intelligence-Abteilung aufzubauen, das klingt so problemlos. Hatten Sie tatsächlich schon gut gepflegte Kundendaten dafür oder mussten Sie erst einmal die vorhandenen Daten konsolidieren, um sie nutzbar zu machen?

Wie alle Unternehmen haben wir eine heterogene Datenlandschaft und stehen damit vor den klassischen Herausforderungen bei diesem Thema. Jedes Unternehmen, das sein Geschäftsmodell umbaut, wird feststellen, dass manche Daten schon vorhanden sind. Wenn man dann aber auch noch über ältere Systeme verfügt, dann sind eben manche Daten nicht in der richtigen Granularität oder vielleicht auch gar nicht vorhanden. Diese Lücken muss man schließen, indem man die Daten im rechtlich erlaubten Rahmen konsolidiert und – falls nötig – die Zustimmung der Kunden für die Nutzung der Daten einholt. Dieses Thema nehmen wir gerade im Marketing sehr ernst. Denn unser größtes Asset ist das Vertrauen in die Marke. Dementsprechend behutsam gehen wir auch mit den Kundendaten um.

Santiago Campillo-Lundbeck

PHOTO (COLOR): FOTO: Matthias B. Scharf Abbildung: Fielmann / Youtube 2009 starteten Spots mit Straßeninterviews Abbildung: Fielmann In der neuen Kampagne geht es um Emotion

1 Der Werbeblick durch die Brille

Fielmann gehört zu den prominentesten Werbungtreibenden und am nachhaltigsten verankert ist im öffentlichen Bewusstsein die 2009 von Vasata Schröder Florenz kreierte Kampagne, bei der Kunden und Kundinnen auf der Straße zu ihrem Einkauf bei Fielmann befragt wurden. Journalisten deckten zwar Jahre später auf, dass es sich bei manchen der vermeintlichen Kunden in Wirklichkeit um bezahlte Laiendarsteller handelte, aber das schmälerte die Wirkung der Kampagne unter dem selbstbewussten Claim „Brille: Fielmann" nur unwesentlich.

Die Kampagne war so erfolgreich, dass Fielmann erst 2018 mit dem von Grabarz & Partner kreierten Spot „Der Qualitätstester" ein neues Format präsentierte. In der neuen Kampagne standen ein Junge und ein Mädchen im Mittelpunkt, die sich schon seit frühester Kindheit so obsessiv um Perfektion bemühten, dass für sie nur eine Karriere infrage kam: Berater bei Fielmann zu werden.

Jetzt hat sich Fielmann vom neuen Agenturpartner David+Martin die neue Kampagne „Stärke zeigen" entwickeln lassen, die einen humorvollen Blick auf die Fielmann-Kunden wirft und zeigt, wie sie das neue Selbstbewusstsein durch die perfekt auf sie abgestimmte Fielmann-Brille positiv verändert. Neben der klassischen Markenwerbung investiert Fielmann allerdings auch seit 2016 zunehmend in digitales Performance Marketing, um den Traffic in den Filialen zu treiben.

By Santiago Campillo-Lundbeck

Reported by Author

Titel:
„Wir wollen weiter": Fielmann: Der Marktführer der deutschen Augenoptik erfindet sich neu und entdeckt die Emotion als Markenelement.
Autor/in / Beteiligte Person: Campillo-Lundbeck, Santiago
Zeitschrift: HORIZONT, 2022-06-15, Heft 24/25, S. 10-11
Veröffentlichung: 2022
Medientyp: serialPeriodical
ISSN: 0175-7989 (print)
Schlagwort:
  • HIGH technology industries
  • MARKET leaders
  • CONSUMERS
  • MARKETING strategy
  • MARKETING
  • CUSTOMER relationship management
  • Subjects: HIGH technology industries MARKET leaders CONSUMERS MARKETING strategy MARKETING CUSTOMER relationship management
Sonstiges:
  • Nachgewiesen in: DACH Information
  • Sprachen: German
  • Language: German
  • Document Type: Article
  • Full Text Word Count: 1888

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