Entwicklung und Evaluation komplexer Interventionen – was bringt das aktualisierte MRC-Modell?
Viele Interventionen in der Pflege sind komplex, sie bestehen aus verschiedenen Komponenten, zielen auf Veränderungen von Verhalten oder Prozessen ab und betreffen oft unterschiedliche Akteure. Im Jahr 2000 wurde erstmals ein Modell zur Entwicklung und Evaluation komplexer Interventionen im Gesundheitswesen veröffentlicht ([2]), 2008 folgte die Aktualisierung ([3]) und im vergangenen Jahr erschien dann die zweite Aktualisierung ([5]; [6]). Das Modell wird unter anderem in der Pflegewissenschaft in Deutschland häufig verwendet (z.B. [1]).
Definition von komplexen Interventionen
Während die vorherigen Modelle die Komplexität der Interventionen selbst in den Mittelpunkt stellen, wurde in der aktualisierten Fassung auch der Kontext, in den eine Intervention implementiert wird, als Quelle von Komplexität ergänzt. Denn auch bei eher simplen Interventionen können Aspekte der Implementierung von Bedeutung sein und einen Einfluss auf Machbarkeit bzw. Nutzen haben.
Die Phasen des Modells
Das aktualisierte Modell besteht wie die vorherige Fassung aus vier Phasen, es wurden allerdings sogenannte zentrale Kernelemente („Core elements") ergänzt. Diese Aspekte sind bereits zuvor in einzelnen Phasen thematisiert worden, nun sind sie aber für alle Phasen relevant:
- • Kontext berücksichtigen
- • Entwicklung, Verfeinerung und (erneute) Prüfung der Programm-Theorie
- • Interessengruppen einbeziehen
- • wichtigste Unsicherheiten identifizieren
- • Intervention verfeinern
- • ökonomische Überlegungen
Auch bei den vier Phasen des Modells gab es Änderungen. Für die Entwicklung der Intervention werden zwei Formen beschrieben: (1) die Entwicklung durch die Forschenden (wie bisher) und (2) Übernahme einer bereits bestehenden bzw. in Planung befindlichen Intervention (z.B. initiiert durch Politik oder Praxis) mit Prüfung der Evaluationsmöglichkeiten. Im Rahmen der Begleitforschung werden oft Interventionen überprüft, die nicht selbst entwickelt wurden. Nicht immer sind hierbei alle für komplexe Interventionen wichtigen Aspekte verfügbar, z.B. eine Beschreibung der Programm-Theorie. Methodische Details zur Entwicklung einer komplexen Intervention wurden in einem separaten Paper veröffentlicht ([4]).
Die zweite Phase wurde nun ausschließlich mit Machbarkeit benannt, es werden aber die Machbarkeit der Interventionen und der Studienprozeduren beschrieben.
Die Evaluationsphase fokussiert nun nicht mehr primär auf Wirksamkeitsfragen, sondern es wurden weitere „Forschungsperspektiven" ergänzt. Theoriebasierte Fragestellungen untersuchen den Ansatz der Intervention, um die geplanten Veränderungen zu erreichen („What works in which circumstances and how?") und die „System"-Perspektive befasst sich mit den Auswirkungen der Implementierung der Intervention im Zielsetting als einem komplexen System. Auch Wirksamkeitsfragen sind weiter im Fokus, nun getrennt nach Wirksamkeit unter optimalen („efficacy") bzw. alltagsnahen Bedingungen („effectiveness").
Die vierte Phase, Implementierung, ist weiterhin sehr allgemein beschrieben. Allerdings werden Aspekte der Implementierung nun in allen Phasen stärker berücksichtigt, z.B. durch die Einbeziehung des Kontextes und die regelmäßige Prüfung der Programm-Theorie.
Zusammenfassung
Die alle Phasen betreffenden Kernelemente sind die zentrale Änderung im Model. Damit werden wichtige Aspekte, wie die Bedeutung der Programm-Theorie und des Kontextes, hervorheben. Die Erweiterung der Forschungsperspektive in der Evaluationsphase ist gerade für den Bereich Public Health relevant, auch wenn Wirksamkeitsfragen in vielen Studien weiterhin im Vordergrund stehen werden. Das Modell zeigt auch die Verbindung zwischen Versorgungs- und Implementierungsforschung auf.
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Literatur
1
Abraham, J., Kupfer, R., Behncke, A., Berger-Höger, B., Icks, A., Haastert, B., Meyer, G., Köpke, S. & Möhler, R. (2019). Implementation of a multicomponent intervention to prevent physical restraints in nursing homes (IMPRINT): a pragmatic cluster randomized controlled trial. International Journal of Nursing Studies, 96, 27–34. https://doi.org/10.1016/j.ijnurstu.2019.03.017.
2
Campbell, M., Fitzpatrick, R., Haines, A., Kinmonth, A. L., Sandercock, P., Spiegelhalter, D. & Tyrer, P. (2000). Framework for design and evaluation of complex interventions to improve health. BMJ, 321(7262), 694–696. https://doi.org/10.1136/bmj.321.7262.694.
3
Craig, P., Dieppe, P., Macintyre, S., Michie, S., Nazareth, I. & Petticrew, M. (2008). Developing and evaluating complex interventions: the new Medical Research Council guidance. BMJ, 337, a1655. https://doi.org/10.1136/bmj.a1655.
4
O'Cathain, A., Croot, L., Duncan, E., Rousseau, N., Sworn, K., Turner, K. M., Yardley, Y. & Hoddinott, P. (2019). Guidance on how to develop complex interventions to improve health and healthcare. BMJ Open, 9(8), e029954. https://doi.org/10.1136/bmjopen-2019-029954.
5
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6
Skivington, K., Matthews, L., Simpson, S. A., Craig, P., Baird, J., Blazeby, J. M., Boyd, K. A., Craig, N., French, D. P., McIntosh, E., Petticrew, M., Rycroft-Malone, J., White, M. & Moore, L. (2021b). Framework for the development and evaluation of complex interventions: gap analysis, workshop and consultation-informed update. Health Technology Assessment, 25(57), 1–132. https://doi.org/10.3310/hta25570.
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By Ralph Möhler and Stella Calo
Reported by Author; Author