Forschende des Helmholtz-Zentrums Dresden-Rossendorf (HZDR) haben das neuromorphe Rechnen einen großen Schritt vorangebracht, indem sie auf Spinwellen, sogenannte Magnonen setzen. Das Team legt dabei viel Wert darauf, dass die Technologie CMOS-kompatibel ist.
Neuromorphe Computer rechnen nicht mit Nullen und Einsen. Sie nutzen stattdessen physikalische Phänomene, um rasend schnell und äußerst energieeffizient Muster in großen Datenströmen zu erkennen. Mit ihrem Projekt NIMFEIA haben Katrin und Helmut Schultheiß gemeinsam mit ihrem Team vom HZDR diese Technologie jetzt einen großen Schritt vorangebracht. Und sie haben gezeigt, dass sich ihr Ansatz nahtlos in herkömmliche Chip-Fabriken integrieren lässt, wie sie im Forschungsmagazin Nature Communications darstellen. Der Rechenvorgang heißt neuromorphes Rechnen, weil die Prozesse denen im Gehirn ähneln. Er lässt sich aber auch als Reservoir Computing bezeichnen, weil er nichtlineare physikalische Phänomene nutzt, um Muster in einem Datenstrom zu erkennen.
„In vielen Bereichen der Automatisierung vom autonomen Fahren über das Internet der Dinge bis zum Edge Computing kämpft die Industrie mit schnellen Datensignalen", erklärt Helmut Schultheiß. Er leitet die Emmy Noether-Gruppe „Magnonik" am HZDR. „Denn viele Sensoren liefern kleine Datenpakete mit hoher Geschwindigkeit. Darin Muster zu erkennen, ist für momentane Computerarchitekturen sehr energieaufwendig." Deshalb setzen die Forschenden auf Spinwellen, auch Magnonen genannt. Die Idee, damit eine neue Datenverarbeitungstechnologie zu schaffen, ist schon ein wenig älter. Doch Schultheiß und ihr Team haben mit ihrer Arbeit ein Problem gelöst, das die praktische Umsetzung behinderte. „Alle bisherigen Konzepte setzen darauf, dass sich Spinwellen von A nach B ausbreiten müssen, um mit ihnen zu arbeiten", erklärt Helmut Schultheiß. „Doch es gibt keine wirklich brauchbaren Materialien dafür." Deshalb ist das HZDR-Team einen anderen Weg gegangen. Sie haben den gesamten Prozess in eine nur wenige Mikrometer dicke, magnetische Scheibe gepresst und versetzen diese in Schwingungen. Diese schwingt mit verschiedenen Frequenzen gleichzeitig, was stehende Wellen in dem Körper erzeugt. Bei unterschiedlichen Eingabemustern ergaben sich immer eindeutige Schwingungsmuster, die zeitsensitiv sind. Ändert sich die Reihenfolge der Eingangssignale, ändern sich auch die Muster. Für die Auswertung von Daten in Echtzeit ist dies eine wichtige Voraussetzung.
Damit es die Technologie vom Labor auf den Markt schafft, ist ihre CMOS-Kompatiblität wichtig, sodass sie sich auf den herkömmlichen Fertigungslinien der Chipindustrie verarbeiten lässt. Dies wurde durch Kooperationen mit GlobalFoundries und Infineon in dem von der EU geförderten Projekt NIMFEIA sichergestellt.
Herkömmliche Computer wollen die Forschenden mit ihrer Technologie nicht ersetzen. Sie wollen diese sinnvoll ergänzen. „Wenn es um komplexe mathematische Berechnungen geht, ist das boolesche Rechnen immer noch führend", sagt Helmut Schultheiß. „Doch die aktuellen Computerarchitekturen haben ein großes Problem darin, Muster zu erkennen und Komplexität zu erfassen." Eine Anwendung könnte beispielsweise die Verkehrsoptimierung sein. Denn neuromorphe Computer könnten den schieren Berg an Daten, den Dienste wie Google in Kombination mit Smartphones und den Autos selbst liefern, nach Mustern durchsuchen und einen Stau vorhersagen, bevor das erste Auto überhaupt stehen geblieben ist. (na) ▪
Graph: Elektromagnetische Felder regen Schwingungen in einem magnetischen Vortex an. Die Wechselwirkung ähnelt dem Wechselspiel zwischen Neuronen und Synapsen und lässt sich für die Mustererkennung nutzen.
Graph: Bild: HZDR / H.Schultheiß